Besuch eines indigenen Stammes in Brasilien
Wir hatten die Idee, eine Rundreise für Interessierte zu entwickeln, die bereits die beeindruckende Natur Brasiliens und die Highlights des Landes kennengelernt haben und ein weitere Facetten kennenlernen möchten. Deswegen haben wir uns überlegt, wie man in einer Reise die Geschichte Brasilien erfahrbar machen kann. Das Ergebnis ist unser Reisepaket Koloniale Geschichte Brasiliens.

Portugals kulturelles Erbe in Brasilien
Wenn man Portugal und Brasilien besucht, fallen einem die Parallelen zwischen den beiden Ländern auf. Natürlich sind vor allem die Ursprünge der „kolonialen“ Architektur sichtbar, und zeigen, wie eng damals Kolonie und Mutterland verwoben waren. Von 1808 bis 1821 wurde das Königreich Portugal sogar von Rio de Janeiro aus de jure regiert, da die Königsfamilie vor Napoleons Truppen flüchtete. 1822 kehrte der König João VI nach Lissabon zurück und sein Sohn Pedro wurde als Dom Pedro I der erste Kaiser des unabhängigen Brasiliens. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, auch die Stadt Lissabon und seine Geschichte zu kennen, um die Wurzeln Brasiliens zu verstehen.
Aber auch kulinarisch sind die portugiesischen Einflüsse spürbar. So findet man findet viele verführerische Snacks, Gerichte und Süßigkeiten auf beiden Seiten des Atlantiks. Aber die brasilianische Küche wird darüber hinaus durch afrikanische und indigene Einflüsse sowie Gerichte der vielfältigen Einwanderer-Nationen bereichert. Aber selbstverständlich ist auch die gemeinsame Sprache von Brasilien und Portugal ein verbindendes Element. Aber wie auch in England und den USA unterscheiden sich Vokabeln, Grammatik und Aussprache. Vor allem die Aussprache der Portugiesen ist oft für Brasilianer schwer verständlich. Wenn dann noch andere Begriffe verwendet werden, können schnell Missverständnisse entstehen.



Brasiliens indigene Völker
Aber die Wurzeln Brasiliens lagen selbstverständlich vor allem in den indigenen Völkern, die bereits in Brasilien gelebt haben und heute leider nur noch in ausgewiesenen Schutzgebieten und Reservaten anzufinden sind. Auch ihre Geschichte muss man kennen, um das heutige Brasilien zu verstehen. Die Geschichte der Kolonialisierung war blutig und bestimmt von Ausbeutung, Sklaverei und Ermordung. Und noch heute ist die Situation sehr schwierig. Es gibt zwar staatliche Stellen zum Schutz der indigenen Bevölkerung, aber Politik und Großgrundbesitz stellen diese Rechte immer wieder in Frage. Aktuell in der Pandemie sind die indigenen Völker deshalb mehrfach gefährdet. Die zumeist illegalen Goldschürfer (Garimpeiros) und Großgrundbesitzer dringen in die Reservate vor und vernichten die Wälder und damit Lebensgrundlage und Lebensraum der indigenen Völker. Und nun gelangt auch das Corona-Virus in die indigenen Gebiete und stößt auf eine gänzlich nicht immunisierte Gesellschaft – mit verheerenden Folgen und hoher Sterblichkeit.
Besuch eines indigenen Stammes („Indianer“) in Brasilien
Im vergangenen Jahr wollten wir eine indigene Gemeinde besuchen und deren Alltag erleben. Selbstverständlich können wir nicht entlegene Stämme besuchen, da diese bewusst isoliert bleiben sollen. Tourismus ist hier glücklicherweise nicht möglich, Besuche sind genehmigungspflichtig und diese bleiben in der Regel öffentlichen Behörden (FUNAI) und Forschern vorbehalten. Aber es gibt Gemeinden, die sich angepasst haben und dennoch weiter versuchen, ihre Traditionen zu bewahren. Hierzu zählen auch die Pataxós. Dies war der Stamm, der im Jahre 1500 als erstes Kontakt mit den Portugiesen hatte. In Bahia lebt heute das Volk in 36 Walddörfern (Aldeias) in 7 Reservaten. Die eigenen Sprache ist inzwischen weitestgehend dem Portugiesisch gewichen.



Kunst oder Kommerz?
Wir fuhren zunächst zum Küstenabschnitt Coroa Vermelha, in dessen Nähe der „Praia do Descobrimento“ liegt, der Entdeckerstrand, an dem die erste Messe durch den Entdecker Cabral abgehalten worden sein soll. Der Name Coroa Vermelha (Rote Krone) leitet sich von einem vorgelagerten rotem Korallenriff ab. Auf dem Weg zum Strand geht man an unzähligen Verkaufsständen vorbei, die indigene Kunst feilbieten. Es wirkte auf mich sehr kommerziell, aber für Reisende, die lokales Handwerk schätzen ist es eine wahre Schmuckschatulle. Und ich habe später auch die Bedeutung des Verkaufs von Kunsthandwerk verstanden, dazu später mehr. Mich interessierten vor allem die Gaumenfreuden, allen voran die köstlichen „Cocadas“. Das sind unverschämt süße Variationen von kandierten Kokosnuss- und Obstraspeln. Auch an den Marktständen mit frisch zubereiteten Säften lokaler, tropischer Früchte kann ich nie vorbeigehen, ohne eine mir unbekannte Sorte zu probieren.
Herzlich willkommen bei den Pataxós
Hiernach ging es dann am Nachmittag zur Reservat Jaqueira. Am Eingang wurden wir von einem jungen, befederten Mann empfangen und zur unserer Unterkunft begleitet. Dies war eine einfache Lehmhütte mit zwei Hängematten und einer Lampe. Wir stellten unsere Rollkoffer dort ab, optisch wollte es partout nicht zusammenpassen. Wir konnten die Gemeinde mit ihren rund 20 Hütten entdecken und den Bewohnern vor ihren Unterkünften beim Tagesgeschäft zuschauen. Kinder machten Hausaufgaben, ein anderer junger Indigeno übte mit Pfeil und Bogen. An der Hütte des „Pajé“ wurde ein Essen auf offenem Feuer zubereitet und wir konnten lokale Früchte kosten.
Der Pajé ist das geistige Oberhaupt der Aldeia, ihm gebührt Respekt und ihm wird zugehört. Es gibt noch einen „Geschäftsführer“ der Aldeia, genannt Cacigue, der für alle organisatorischen Belange der Gemeinde zuständig ist. Im Reservat Jaqueira war dies ein junger Mann mit rund 25 -30 Jahren. Wir unternahmen noch eine kurze Wanderung durch den Wald, bei der wir mehr über die Vegetation, Jagd und Landwirtschaft erfuhren. Auch ging die Wanderung an der Schule vorbei, in der die Kinder der Gemeinde unterrichtet werden. Die weiterführende Schule muss hingegen in Porto Seguro besucht werden. Die Wanderung war mit rund 30 Minuten für unsere Verhältnisse recht kurz. Das liegt daran, dass sich der Stamm an die Gewohnheiten der Brasilianer orientiert, die normalerweise nicht so lange laufen.



Grillen mit Überraschung
Am Abend waren wir dann Gast beim Pajé, seiner Frau und den beiden Kindern. Weil ich neben Vinicius auch Portugiesisch spreche, konnten wir wirklich gut ins Gespräch kommen und mehr über die Kultur und Traditionen erfahren. Es wurden schließlich schlauchartige Objekte auf den provisorischen Grill gelegt, die mir als leckere „Wasserschlangen“ angepriesen wurden. Ich kostete ein Bissen und war nicht so begeistert. Es war enorm fettig, etwas zäh und hatte weder eine schlangenartige noch eine fischartige Konsistenz, wie zu erwarten gewesen wäre. Die Kinder waren ganz wild drauf. Ob des Fettes, das mir sofort die ganzen Lippen einbalsamierte, schlug ich vor, daraus einen Pflegelippenstift zu machen. Diese Äußerung löste ein schallendes Gelächter aus. Und der Pajé offenbarte mir schließlich, dass es sich bei der Spezialität um „Tripas“ also gegrillte Därme handelte – einem beliebten Snack. Zum Glück wurden danach noch Hühnerflügel gegrillt und Maniokmehl serviert, damit ich nicht hungrig ins Bett musste. Es war aber ein sehr magischer Abend. Aber auch mit Händen und Füßen oder mit einem Guide wird man genügend sprechen erfahren können und mit schönen Erinnerungen weiterreisen.
Die Aldeia hat für die Gäste ein Toilette und Dusche aufgestellt. Aber ich habe es vorgezogen, mit ganz authentisch mit einer (abbaubaren) Seife bewaffnet in den naheliegenden Fluss zu gehen und dort mein abendlichen Bad mit Vinicius und einen reizenden älteren Pataxó zu nehmen.
Typisches Frühstück
Am Morgen bekamen wir ein typisches Pataxós-Frühstück: Frische Banane, gegrillte Koch-Banane und Kaffee. Sehr nahrhaft und schmackhaft. Wir hatten hiernach Gelegenheit, mit den Kindern und Bewohnern zu sprechen, die Küchen-Hütte zu bewundern, Pfeil und Bogen zu testen (ich war miserabel) und ließen uns in traditioneller Art bemalen.
Am Vormittag kamen dann wieder die ersten Tagestouristen und begannen umherzuschauen. Schon nach einem Tag fühlt man sich so zuhause, dass man glaubte, den anderen schon alles zeigen zu können. Auch in dieser Aldeia gibt es eine Hütte, in der Schmuck und Kunsthandwerk verkauft wird. Die Gemeinde lebt vom Verkauf der Souvenirs und erhält damit zugleich ihre Traditionen und Fähigkeiten. Diese Erkenntnis hat mir geholfen, die Sichtweise vom Vortag zu korrigieren. Auch ich habe dann ein paar schöne Gegenstände erworben. Vom Pajé kaufte ich ich eine spannende Duftmischung, die hier zu Ritualen ins Feuer gegeben wird. Das „Incenso“ besteht aus Blättern und Harzen und verströmt eine angenehme Würze, die wie ich später zu Hause feststellen konnte, Katzen magisch anzieht.



Alles nur Indianer-Folklore?
Dieses Incenso wurde dann auch beim Ritual genutzt, das für die Besucher aufgeführt wird. Das halbe Dorf beteiligt sich und lädt zum Mittanzen ein. Ich bin kein Fan von Mitmach-Aktionen. Aber hier machte ich eine Ausnahme und es wich zunehmend mein Unbehagen. Vielleicht, weil ich den Pajé auch privat kennenlernen durfte, fühlte ich mich nicht mehr als Teil einer Touristenfolklore, sondern als willkommener Gast.
Zum Mittag aßen wir frisch gegrillten Fisch in Bananen-Blättern. Dieser war wirklich ganz vorzüglich auch wenn ich sonst kein Fischfan bin. Dann wurden wir abgeholt und zurück nach Porto Seguro gebracht. Wir verabschiedeten uns mit vielen neuen Eindrücken. Meine anfängliche Sorge, ob es sich nur um eine Folklore-Show für Touristen handelt, wurde nicht bestätigt. Die Pataxós zeigen ihre Traditionen und Gebräuche, und man kann oberflächlich bleiben oder die Gelegenheit nutzen, mit einer Übernachtung eine tiefere Verbindung aufzubauen. Ich war von der Herzlichkeit und Offenheit wirklich sehr berührt und möchte die Erfahrung nicht missen.



Alle Fotos dieses Beitrages (c) GloboTur